Fahrplankonstruktion im Zug der Zeit

Eine Schnellzugdampflok "live" zu erleben begeistert nicht nur Eisenbahnfans, sondern ein breites Publikum. Nur Wenigen ist dabei bewusst, wie schwer es in der sich stetig weiterentwickelnden Eisenbahnwelt heutzutage ist, authentischen Dampfbetrieb durchzuführen. Infrastruktur wird stetig reduziert, Fahrzeiten werden gekürzt, die Trassenverfügbarkeit nimmt ab. Wo kann man heute noch eine Dampflok drehen oder Wasser nehmen? Wer denkt noch daran, wie schnell man Tender voran fahren darf?

Besondere Herausforderungen stellen sich dann, wenn zudem auch noch "Neuland" beschritten wird, wie im Falle von 03 1010. Über Fahrzeiten und Grenzlasten der Lok auf ihren gesamten Strecken lasse sich i.d.R. zumindest noch Erfahrungswerte zusammentragen. Aber wer weiß schon, wieviel Last eine 3-Zylinder-03 mit DDR-Reko-Kessel auf westdeutschen Strecken ziehen kann, auf denen eine solche Lok zuvor nie planmäßig gefahren ist?

So kam es vor einigen Jahren zur Zusammenarbeit von iRFP mit der Traditionsgemeinschaft Bw Halle P, die uns seitdem gelegentlich vor einige nicht ganz alltägliche Aufgaben stellt - und oft staunen lässt, wie groß doch inzwischen der Unterschied heute üblicher Fahrplankonstruktion und "traditionellerem" Bahnbetrieb ist. Einige dieser interessanten Erkenntnisse wollen wir folgend mit Ihnen teilen.

 

Die im heutigen Alltagsbetrieb eher unspektakuläre Strecke Frankfurt a. M. (FF) - Gießen (FG) ist für eine 3010 mit ihrem Personal und 495-t-Schnellzug eine echte Herausforderung. Die 36‰-Rampe eines Überführungsbauwerks in Frankfurt a. M. West /FFW) muss mit Schwung durchfahren werden, in der 15,4 ‰-Steigung hinter Frankfurt-Rödelheim (FRH) fällt der Zug bis auf 35 km/h ab und hinter Friedberg (Hess.) (FFG) müssen Mensch und Maschine über 20 Minuten an der Kesselgrenze arbeiten.

 

Ausschnitt aus der Fahrzeitberechnung für den Abschnitt Bochum-Riemke (EBRI) - Witten (EWIT), auf denen es "unsere" 03 im Jahre 2016 verschlug. Die Steigung beträgt hier maximal 13,8 ‰, in denen die 0310 mit 450 t Last bis auf 45 km/h abfällt. Genau in diesem Bereich am ehemaligen Abzweig Bochum Präsident (YEEBP) liegt ein auf dem Foto rechts beginnender 90°-Gleisbogen mit nur 186 m Radius. Mal Hand aufs Herz: Sollte man hier lieber zügiger fahren, um in der Steigung nicht liegenzubleiben oder lieber langsamer, um ein Entgleisen der 03 mit ihrem hochrädrigen Fahrwerk zu vermeiden?

 

Das "Problem" an der Baureihe 0310 ist: Es gibt kaum bekannte fahrdynamische Messwerte. Während für die Zweizylinder-Serie der bekannten Einheitslok 1934 umfangreiche Messfahrten durch die Versuchsabteilung Grunewald durchgeführt wurden, war für Messfahrten ,oz der erst 1939 produzierten Dreizylinder-Variante nach Kriegsbeginn keine Zeit mehr. Im Jahre 1959 wurden die Loks mit Neubau-Kesseln ausgerüstet, aber auch die Versuchs- und Entwicklungsstelle Maschinenwirtschaft (VES-M) Halle hat keine Leistungsuntersuchung an 0310 durchgeführt. Das Zugkraft - Geschwindigkeits-Diagramm für 03 1010 mussten wir uns daher erst einmal selbst aus 300, 39Reko, etwas Thermodynamik, Kessel-Wirkungsgraden und Schlepplasttafeln herleiten.

 

 

Das Bewahren funktionierenden Eisenbahnbetriebes vergangener Zeiten wird zunehmend wichtiger, wenn die nachwachsenden Generationen diesen Betrieb nicht mehr selbst erlebt haben. Wünschen wir der 03 1010 und ihrem Team des Bw Halle P e.V. noch lange viel Erfolg dabei!